Das Sironabad in Nierstein

Elli Fischer-Zimmermann

Das Imperium Romanum war die größte geschlossene Reichsbildung der Weltgeschichte. Es umfasste Teile aller drei damals bekannten Kontinente: Europa, Afrika und Asien. Es hat als Mittelmeerreich mehr als 500 Jahre bestanden und die Geschichte des Abendlandes maßgeblich bestimmt.

Im 1. Jahrhundert vor Christi Geburt kamen die Römer an den Rhein und blieben bis ins 4. Jahrhundert nach Christus. Viele Städte wurden am Rhein gegründet, wie Köln (Colonia Agrippina), Mainz (Moguntiacum), Worms (Borbetomagus), etc.

In der Mitte etwa zwischen Mainz und Worms lag das römische Buconica (Bauconica), was anhand der vielzähligen Ausgrabungen bzw. Grabfunde mit dem heutigen Nierstein identifiziert wird 1). Einige Fundstätten seien an dieser Stelle erwähnt 2):

1.   Hummertal-Dautzklauer: Villa Rustica und Gräber, Tongefäße, Tonlämpchen, eiserne Messer und Werkzeuge, 1 Broncefibel, 1 zweiteilige Spiegelkapsel mit eingesetzter Vorder- und Rückseite einer Nero-Broncemünze.
2.   Wörrstädter Straße neben dem Senfter'schen Kelterhaus: Gräberfeld: 1 Grabstein mit der Inschrift »Den Schattengöttern! Ihren Söhnen Fabricius und Acceptius December hat die Mutter Paternia Priscilla auf eigene Kosten diesen Grabstein herstellen lassen«.
3.   Wörrstädter Straße, wo die Eisenbahn die Landstraße nach Wörrstadt schneidet - Nähe Bahnübergang: Gebäudereste und Gräber.
4.   Rheinallee auf Höhe der Fähre: auf dem Gebiet des Gelben Hauses, heute Villa Guntrum: Siedlungsschutt.
5.   Sironastraße: Quellheiligtum.
6.   Ringstraße: Mauerwerk.
7.   Neunmorgen: Gebäudereste.
8.   Gartengasse 5: Keramik.
9.   Saalpförtchen: Keramik.
10.   An der Bergkirche: Steinsarg mit der Inschrift (CIL XIII 6279) »Memoriae aeternitatis Lacaniae Victorinae conjugi pudicissime abque castissimae Pervincius Romulus, beneficiarius consulis, maritur et Romanus filius ob immensurabilem pietatem ejus«. (»Zum ewigen Gedächtnis seiner sittsamen und ehrbaren Gemahlin Luciania Victorina (ließen) ihr Gatte Pervincius Romulus, Beamter des Statthalters, und ihr Sohn Romanus (dieses Grab bereiten) aus unermesslicher Liebe zu ihr«).
11.   Auf der Glöck: der ältesten erwähnten deutschen Weinbergslage (742 nach Christus) stand ein Merkurtempel. Ein Relief dieses Gottes wurde im Weinberg gefunden, mit der teilweisen Inschrift »Zu Ehren des Kaiserhauses errichtete ... dem Gotte Merkur einen Tempel mit dem Bild ... «. Es trug außer der Gottheit noch das Kennzeichen des Gottes, nämlich Flügelhaut und Schlangenstab.
12.   Niersteiner Warte, bei der Quelle am Westhang nördlich der Silberkaut: Villa Rustica.
13.   Eselspfad (Fuchsloch): Villa Rustica.
14.   Rehbacher Steig (nördlicher Abhang): »Bleisarg«.
15.   Klostergewann: Ausgedehnte Ruinen der hier liegenden, nach der feinen Wandbemalung wohl sehr wohlhabenden, Villa.
16.   An der oberen Rehbacher Steig: Villa Rustica.
17.   Über der Rehbacher Steig in der Nähe der Quelle: Meierhof = Villa Rustica.
18.   Rolländer, westlich des Stumpflochbrünnchens: Meierhof = Villa Rustica.
19.   Rolländer Berg: Gebäulichkeiten und Gräber in der Nähe der dortigen Quellen.
20.   Schwabsburg, am Ende des langen Grundes beim Zumbelborn: Villa Rustica und Gräber.
21.   Schwabsburg, Hauptstraße (Reichert Naab): Römisches Heiligtum (1998).
22.   Schwabsburg (Heinrich Borngässer), Im Loch: Zwei Gräber (2004).
     

Der interessanteste römische Fund ist zweifelsfrei das Sironabad, ein Quellheiligtum der Göttin Sirona. Dieses Bad war Jahrhunderte lang verschüttet, obwohl es durch die Römer von etwa 86 bis 267 nach Christus benutzt wurde. Vielleicht haben die Alemannen das Bad zugeschüttet, weil sie alles Römische hassten.

1766 machte Johann Daniel Flad aus Mannheim in seiner »Vorlesung von der verschiedenen Fruchtbarkeit der Pfalz am Rhein und deren Ursachen« wieder durch folgende Anmerkung auf das Sironabad aufmerksam: »Zu Nierstein nahe der Fliegenden Brücke, hart am Rhein, habe ich schon vor mehr als 15 Jahren einen solchen schwefligen Brunnen wahrgenommen. Das Wasser hat den Geruch nach faulen Eiern, setzt einen gelben Ocker ab, und das Silber läuft darin über Nacht an, etc.« 3).

Ebenso verwies 1778 Christof Jakob Kremer in Abhandlungen der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften zu Mannheim auf die Quelle 3).

Aber diese Hinweise versandeten bald bis dann am 21. Mai 1802 der Geheimrat und Leibarzt des Großherzogs von Hessen, Freiherr von Wedekind, in der Mainzer Zeitung einen Artikel veröffentlichte mit folgendem Wortlaut: »Bei einem Spaziergang bemerkte ich in der Nähe des so genannten Gelben Hauses, am Ufer des Rheines, eine sich durch einen überaus starken Schwefelgeruch und durch sichtbaren Absatz von Schwefel sehr auffallend zu erkennen gebende Mineralquelle. Ich fand dieses Wasser im Geruch und im Geschmack stärker, nämlich schwefelhaltiger, als das Weilbacher Wasser. Man sagte mir auch, dass mehrere Personen sich dasselbe zur Kur mit großem Nutzen bedient hätten«. Darum ließ ich mir einige Krüge davon nach Mainz senden, mit denen ich eine vorläufige Untersuchung anstellte, um hiernächst (welches gestern geschehen ist) der Sozietät der Wissenschaften des Départements vom Donnersberg eine Nachricht davon geben und diese Sozietät zu einer genaueren Prüfung eines für unseren Départementalreichtum so wichtigen Gegenstandes auffordern zu können.

Die Reichhaltigkeit dieses Schwefelwassers an geschwefeltem Wasserstoff (hydrogine sulph.) ergibt sich aus der sehr großen Menge des dunklen Niederschlags, wenn man in ein Glas von diesem Wasser so lange von einer Auflösung von Bleizucker tröpfelt, als ein Niederschlag erfolgt. Eben das beweist das Zutröpfeln von einer Auflösung des Brechweinsteins; das Wasser nimmt dann die Farbe des Weins an, und es sondert sich nach und nach ein orangefarbiger Niederschlag ab, welcher Goldschwefel ist. Ich vermute, dass es auch einen Satz enthalte, worin Salzsäure ist, weil es einen salzigen Geschmack hat.

Bürger Molitor wird die genauere chemische Untersuchung des Wassers der Gesellschaft und dem Publikum vorlegen. Indessen habe ich vor der Hand diese kurze Nachricht mitteilen wollen, weil sie hinreichend ist, zum inneren Gebrauch des Schwefelwassers einzuladen, wovon man sich eben den Nutzen wie von dem Weilbacher Schwefelwasser versprechen kann, welches besonders bei Brustkrankheiten, bei Hämorrhoidalzufällen und bei Hautkrankheiten sich oft hilfreich erwiesen hat. Die Fassung der Quelle und die Anlegung einer Badeanstalt könnten hier keine großen Schwierigkeiten haben. Die gelehrte Gesellschaft wird also diesen Gegenstand einer besonderen Aufmerksamkeit würdigen, und darum lade ich alle diejenigen, welche von den Heilkräften des Schwefelwassers Kenntnis haben, ein, dem Bürger und Professor Molitor oder mir davon bald Nachricht zu geben. (Auszug aus Nr. 77 der Mainzer Zeitung vom 12. Prärial des Jahres X der französischen Republik).

Professor Ackermann, Präsident der Départemental-Gesellschaft der Wissenschaften und Künste aus Mainz ließ eine chemische Analyse des Wassers herstellen, welche die Heilkraft bestätigte. Geeignet sei das Wasser für Hautkrankheiten, Unterleibsbeschwerden, Brustbeschwerden und Metallvergiftungen.

Der Präfekt des Départements Donnersberg, Jeanbon St. André erlaubte nun der Gemeinde Nierstein die Quelle zu verpachten. Herr Martin van der Velden, der durch das Wasser Heilung erfahren hatte, pachtete sie im Jahre 1802, ließ sie ausgraben, fassen und gegen Überschwemmungen des Rheins sichern.

Bei diesen Aufräumarbeiten entdeckte man die römische Fassung der Quelle; man fand Trümmer von Bauwerken u.a. eine kleine Säule, ein Steinbecken, kleine Figuren aus gebrannter Erde und mehrere Münzen, die in Gipskugeln in der Quelle lagen.

Es waren Münzen, frisch geprägt, die keinen Zweifel daran lassen, dass die Geheilten die Münzen in die Quelle legten, um den Zeitpunkt ihrer Genesung zu dokumentieren.

Es befanden sich Münzen darunter von Domitian (86), Nerva (98), Trajan (100 und 112), Hadrian (118 und 119), Antonius Pius (145), Gordianus III (239 – 244), Posthumus (267) und von Otacilia severa, der Frau des Kaisers Philippus d.Ä. (4). Nach Bodmann sind noch zwei weitere Inschriften gefunden worden:

a) Ein Granitstein mit der Inschrift (in deutsch): »Den Schattengöttern! Der Tertia, der Mutter des Venustus und des Gemellus und der Serotina errichtete Prima Ammilla (diesen Grabstein) nach dem Wunsche des Tertinus Venustus«.

b) Ein Bruchstück des Grabes eines Soldaten der Lturäer Kohorte des Kaisers Tiberius oder Claudius in Mainz, wie drei weitere Grabsteine von hier beweisen. Die Ituräer sind ein Volksstamm aus dem heutigen Syrien/Palästina, wo die römischen Bogenschützen herkamen.

Deshalb kann man darauf schließen, dass die Heilquelle von den Römern von 86 bis ins 3. Jahrhundert nach Christi benutzt wurde.(4)
Der wichtigste Fund jedoch war ein Votivstein mit folgender Inschrift: »Deo Appolini et Sironae Julia Frontina votum solvit laetus libens merito«. (»Dem Gotte Apollo und der Sirona erfüllt ihr Gelübte freudig und dankbar Julia Frontina«).

Es könnte sein, dass die hier erwähnte Julia Frontina dieselbe ist, die auf einem Votivstein in Weisenburg in Ungarn (Gruter, P.67,9) genannt wird, so Cajus Julius Frontinanus, Veteran der V. Legion, seine Gattin Caphia Maxima, und seine Tochter Julia Frontina, dem Aesculap, der Hygia und den übrigen Heilgöttern und Göttinen des Ortes, für Wiederherstellung der Sehkraft danken.

Die Göttin Sirona, die und deren Verehrung von den römischen Schriftstellern nicht erwähnt wird, wäre ohne die Steinschriften unbekannt geblieben. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass es sich um eine gallische Lokalgöttin oder eine besondere keltische Benennung einer bekannten, größeren Göttin handelt.

Es wurden fünf Steinschriften in verschiedenen Landen von der Göttin Sirona entdeckt, drei in Gesellschaft des Apollo und zwei in Gesellschaft des Apollo Grannus. Die beiden letzten wurden in Rom und Bretten in Siebenbürgen, die anderen drei in Groß-Bottmar in Würtemberg; in St. Avold in Lothringen und in Nierstein gefunden.

Der Name Sirona wurde vielfältig gedeutet. Am wahrscheinlichsten ist die Erklärung des Frankfurter Gymnasialdirektors Mathia 5) in »Prolusio de Sirona dea, 1806«, der den Namen Sirona von der keltischen Worten Seir (herrschen) und On (Wasser) ableitet, woraus sich die Bedeutung Regina undarium (Königin der Gewässer) gebildet hat. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass man in Waradin / Ungarn (Gruter p.3 g.8) eine Ara mit der Inschrift »Dianae, reginae undarum« gefunden hat. Sirona wäre also ein keltischer Name der Diana als Wassergöttin, die in Verbindung mit dem Heilgott Apollo als Schutzgöttin einer Heilquelle genannt wird.

In St. Avold ist die Sirona abgebildet, ihre Haare sind wie eine sprudelnde Quelle geformt, die das Wasser in weiten Bögen herabfallen lässt. Durch Buchstabenverwechslung heißt sie hier Deirona statt Seirona. Auf allen anderen Votivsteinen heißt sie Sirona oder Sironae 6).

Herr van Velden, der die Quelle 1802 pachtete, ließ nach den Ausgrabungen die Quelle mit einem Gewölbe überdecken und bewirtschaftete sie bis zu seinem Tod 1826. Danach verkaufte die Gemeinde Nierstein die Quelle an den Stadtrat Pfeifer von Mainz, der im Juli 1826 die Einfassung aufbrechen und den Lauf der Quelle erkunden ließ.

Zwei Schwefel- und zwei Süßwasserquellen wurden gefasst und die Gebäude verändert. Das Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs wurde geöffnet, sodass das frisch geschöpfte Wasser auf einem Vorplatz den Kurgast serviert werden konnte. Im Hause über der Quelle wurden sechs kleine Badekabinen eingerichtet mit hölzernen, firnisüberzogenen Wannen. Durch einen Dampfapparat wurde das Schwefelwasser erhitzt und in die Kabinenwannen geleitet; auch Dampf- und Tropfbäder wurden gemacht. Die Kurgäste konnten im Badehaus wohnen bzw. im nahegelegenen Gelben Haus in Nierstein (das Gelbe Haus stand da, wo heute die Villa Guntrum steht).

Die Bestandteile der Quelle, nämlich Schwefelwasserstoffgas, salzsaures und schwefelsaures Natron und Eisen, erzielten hervorragende Erfolge bei den Kranken.

Außer dem Votivstein gibt es im heutigen Sironabad noch folgende Gedenksteine:

a) an Napoleon Bonaparte (von 1792 bis 1815 gehörten wir, das Gebiet des linken Rheinufers, zu Frankreich: »Rebati l´an IV du Consulat de Napoléon Bonaparte le 24 praeréal l`an 11 de la République Francaise« (Wieder erbaut im Jahre 4 des Konsulats Napoleon Bonaparte am 24. Präreal im Jahr der Französischen Republik).

b) an Jean Bon St. André (Präfekt des Départementes Donnersberg: »Sous la Préfecture de Jean Bon St. André, Departement de Mont-Tonnére« (unter der Präfektur von Jean Bon St. André, Département Donnersberg).

c) an Martin van der Velden und Therese Barbara Mertens, Pächter der Sironaquelle 1802 - 1826. Ab 1910 bis ca. 1930 wurde das Wasser industriell von einer Stärkefabrik (Fa. Sander) benutzt. Seit 1937 steht das Sironabad unter Denkmalschutz.
Einige Verschönerungen wurden zwischenzeitlich von der Gemeinde vorgenommen, so dass heute jederzeit Führungen des Sironabades angeboten werden können. Jeder, der an der römischen Geschichte Niersteins interessiert ist, sollte diese Gelegenheit nutzen.

Literatur:

1)   Schumacher, Mz. Zeitschr. V, 1910, S. 12 ff.
2)   Jakob Dörrschuck: Nierstein in seiner Vergangenheit, Mainz 1928, (Rheinhessen in seiner Vergangenheit Bd. 7), S. 23 - 25. G. Rupprecht: Nierstein, Beitrag zur Geschichte, S. 30, 31. Allgemeine Zeitung 23.07.1998 und Oktober 2004
3)   Das Sirona-Bad bei Nierstein und seine Mineralquellen: Mit lithographirten Abbildungen. - Mainz: Kupferberg, 1827
4)   Jakob Dörrschuck: Nierstein in seiner Vergangenheit, Mainz 1928
5)   Das Sirona-Bad bei Nierstein und seine Mineralquellen: Mit lithographirten Abbildungen. - Mainz: Kupferberg, 1827
6)   ebd.
   
Sironabad GVN
Sirona-Skulptur Sironabad mit Votivstein
 
     
GVN   GVN
Der Baderaum des Sironabades mit den Saunaräumen im Hintergrund     Das Sironabad mit verschiedenen Wasserbecken, die alle von zwei schwefelhaltigen Quellen und zwei Süßwasserquellen gespeist werden. In allen Wasserbecken sind die Wasseranalysen identisch.
 

Bilder: Geschichtsverein Nierstein e.V.

Elli Fischer-Zimmermann

Nierstein, 2005

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