Niersteiner Geschichte

30 Stolpersteine in Nierstein verlegt

Als eine Verpflichtung für die Zukunft werteten alle Beteiligten die Verlegung der ersten 30 Stolpersteine zur Erinnerung an die Niersteiner Opfer des Terrors der Nationalsozialisten. Der Kölner Künstler Gunter Demnig, der Initiator der "Aktion Stolpersteine", verlegte am Samstag diese 30 Steine vor zwölf Häusern. Dabei begleiteten ihn Mitglieder des Niersteiner Geschichtsvereins, der dieses Gedenkprojekt angeregt und ausgearbeitet hatte, sowie zahlreiche weitere Bürgerinnen und Bürger.

"Heute kehren die Namen von 30 Niersteinerinnen und Niersteinern, die allesamt Opfer des Terrors der Nationalsozialisten geworden sind, zurück in unsere Stadt und sie bleiben - als stete Erinnerung und Mahnung für die kommenden Generationen."

    Stolpersteinverlegung Nierstein
     
So beschrieb Hans-Peter Hexemer, 1. Vorsitzender des Niersteiner Geschichtsvereins, in einer bewegenden Rede den Sinn und Hintergrund der Aktion Stolpersteine für Nierstein. Es waren jüdische Mitbürger, die ausgegrenzt, gedemütigt, ins Exil getrieben, verhaftet, gefoltert und ermordet wurden. Mitbürger, an deren Namen sich nur noch wenige Zeitzeugen erinnern können. Und es waren politische Gegner, die kurz vor Kriegsende auf dem Kornsand ermordet wurden. Schicksale, über die lange - viel zu lange - geschwiegen wurde.
     
 

Dieser ersten Verlegung von Stolpersteinen sei eine intensive und auch kontrovers geführte Diskussion vorausgegangen, so Hexemer. In zahlreichen Gesprächen habe man den damaligen Gemeinderat, der zunächst eine andere Form des Gedenkens wünschte, von dieser Aktion überzeugen können. "Die anfängliche Skepsis im Rat, in Teilen der Bürgerschaft, aber auch die zahlreichen positiven Stimmen und die vielen Unterstützer zeigen - von heute aus betrachtet, dass die Debatte dem Projekt sehr genutzt hat, " betonte der erste Vorsitzende des Niersteiner Geschichtsvereins. So fanden sich neben Mitgliedern des Vereins zahlreiche weitere Mitstreiter im Arbeitskreis Stolpersteine zusammen, die die Schicksale der Opfer recherchierten und das Gespräch mit den Anwohnern und Eigentümern suchten. Auch hier, so Hexemer, "ist uns eine sehr große Aufgeschlossenheit begegnet.

"Als das "richtige Zeichen des Gedenkens" wertete dann auch Stadtbürgermeister Thomas Günther die Aktion "Stolpersteine" und dankte Hans-Peter Hexemer, der es verstanden habe, in zahlreichen Gesprächen Bedenken und Zweifel auszuräumen. Mit Blick auf 62 unterschiedliche Nationalitäten, die heute in Nierstein leben, sei er "dankbar und froh darüber, dass wir einen Weg gefunden haben".

     

Günther betonte, wie wichtig es sei, sich bewusst zu machen, "welche Verantwortung wir als Bürger aber auch als Christ haben", gerade auch gegenüber der jungen Generation.

Dies hob auch Dieter Burgard, der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit, hervor: "Stolpersteine klären auf und wir brauchen diese Aufklärung gerade auch für die junge Generation." 2005 sei in Trier die erste Verlegung von Stolpersteinen erfolgt, inzwischen gebe es bereits über 1000 Stolpersteine in Rheinland-Pfalz. Der Weg dahin sei ein großer Gewinn gewesen, denn die Diskussionen hätten das Schweigen der Jahrzehnte aufgebrochen.

Mit der Verlegung der ersten beiden Stolpersteine im Tempelhof begann Gunter Demnig vor zahlreichen Teilnehmern, darunter Vertreter der Stadt Nierstein und der Verbandsgemeinde Nierstein-Oppenheim, der katholischen und der evangelischen Kirche, Mitglieder des Arbeitskreises Kornsand und vor allem viele interessierte Bürgerinnen und Bürger sein Tagwerk, das bis in den Nachmittag dauerte und dank der Vorarbeiten des Niersteiner Bauhofes und der umsichtigen Betreuung durch Mitarbeiter des Ordnungsamtes reibungslos verlief.

     

Als "bewegend und innerlich berührend" empfanden die Teilnehmer die Verlegung von 30 Stolpersteinen vor insgesamt 12 Häusern, bei denen einzelne Mitglieder des Arbeitskreises Stolpersteine aus dem Leben der Opfer berichteten, Gebete und Gedichte zitierten und für alle Opfer eine Rose niederlegten.

Besondere Momente schufen die Musiker Claudia Kessel (Gitarre) und Reinhard Schütz (Klarinette) sowie Thomas Ehlke (Saxophon), die am Vormittag und am Nachmittag einige Stationen mit ihrer emotional aufrührenden Musik begleiteten.

Am meisten bewegten die Teilnehmer jedoch die Worte der Angehörigen der Opfer, die zu der Verlegung gekommen waren: Eva Seitz-Thomas, die von ihrem Großvater Georg Eberhardt erzählte, Gertrud Weber, die vom Schicksal ihrer Großeltern Cerry und Johann Eller berichtete und Erika Gerhold, die sich an ihren Onkel Adam Schmitt erinnerte. Oft war auch in ihren Familien all die Jahre nie über die schrecklichen Ereignisse gesprochen worden. Oder sie mussten gar, wie die Angehörigen der ermordeten Jakob Schuch jun. und Jakob Schuch sen. statt Mitgefühl und Unterstützung, Ablehnung und Anfeindung erleben und den nahezu unbehelligt gebliebenen Tätern täglich im Ort begegnen. Eine kaum fassbare Situation, die Pfarrer Walter Ullrich, Vorsitzender des Arbeitskreises Kornsandverbrechen, nachdrücklich verurteilte.

 
     

Die am Samstag verlegten 30 Stolpersteine gedenken folgender Menschen: Rina Kohlmann und Tochter Erna Metzger (Tempelhof 7), Stella und Ernst Alfred Grünebaum mit Tochter Berthe Inge Grünebaum (Marktplatz 7), Anna und Alois Koch sowie Frieda und Heinrich Koch (Rheinstraße 12), Emma Hirsch, Jenny und Ferdinand Sonnenberg mit Tochter Emmi Sonnenberg (Rheinstraße 12), Flora und Willy Wolf mit Tochter Liesel Wolf (Rheinstraße 3) Franziska und Markus Weiler mit Söhnen Dr. Julius Weiler und Kurt Weiler (Rheinstraße 1), Georg Eberhardt (Tiefer Weg 20), Adolf Aron Feiner mit Töchtern Paula Feiner und Auguste Feiner (Oberdorfstraße 19), Jakob Schuch jun. (Oberdorfstraße 70) und Jakob Schuch sen. (Winzerstraße 12), Nikolaus Lerch (Fäulingstr. 31), Cerry und Johann Eller (Ringstraße 19) und Adam Schmitt (Ringstraße 9).

Diese 30 sind die ersten von insgesamt rund 60 Steinen, die in Nierstein verlegt werden. Die weiteren Verlegungen sollen im nächsten Jahr folgen.

     

 

Nierstein, im Juni 2013