Geschichtsverein Nierstein feierte 25jähriges Bestehen:

Für die Kulturszene wertvoll und unverzichtbar

GVN

Sieben Gründerinnen und Gründer des Geschichtsvereins konnten bei der Feierstunde für ihre Initiative zur Gründung und ihr Engagement für den Verein mit einem Ehrenzeichen besonders gewürdigt werden.

2. Vorsitzende Susanne Bräckelmann sprach ihnen Dank und Anerkennung aus, besonders jenen drei Mitgliedern, die noch heute dem Vorstand angehören.

Zu diesen gehört 1. Vorsitzender Hans-Peter Hexemer, der deutlich machte, dass man damals die eigene Geschichtsbegeisterung auf andere habe übertragen wollen, die städtische und regionale Geschichte vom Rand in den Mittelpunkt rücken und die Geschichte weiter erforschen und vermitteln wollte. Zunächst sei es darum gegangen, den kleinen Verein zu etablieren. Von der heutigen Mitgliederzahl von rund 300 habe man kaum zu träumen gewagt. Der Geschichtsverein aber habe sich in 25 Jahren fest etabliert, sei gut vernetzt und vielfach sichtbar zu einer anerkannten Institution in Sachen Stadtgeschichte geworden.

Zu den Gratulanten gehörten Landrätin Dorothea Schäfer, der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Klaus Penzer, für die Stadt Schwabsburgs Ortsvorsteher Joachim Allmann und die Landtagsabgeordnete Kathrin Anklam-Trapp. Sie alle waren voll des Lobes für die Aktivitäten des Vereins und hoben die Bandbreite seines Wirkens hervor.

GVNEr sei einer der rührigsten im Kreis und Verbandsgemeinde, sorge für Heimatgefühl, sei für die Kulturszene wertvoll und unverzichtbar, sensibilisiere für Geschichte und Kultur, zeichne sich durch vorbildliche Gedenkarbeit an die Opfer der NS-Zeit aus – waren einige der Themen der Grußworte.

In ihrem Festvortrag führte Professorin Sigrid Hirbodian die Festgäste in die bis heute Nierstein prägende Zeit des Mittel Mittelalters.

Hirbodian ist Mitherausgeberin des Niersteiner Geschichtsbuches aus dem Jahr 1992 und heute Leiterin des Instituts für geschichtliche Landeskunde an der Universität Tübingen.

Sie beschrieb, wie aus beliehenen Burgmannen Ritter des niederen Adels wurden, die bis heute baulich existierende Adelshöfe errichteten und wie deren Verhältnis zu den übrigen Bewohnern war, die den Rittern erst nach und nach eigene Rechte abtrotzen konnten. Sehr lebendig entwarf sie anhand von Akten des Rittergerichts ein Niersteiner Gesellschaftsbild aus dem 17. Jahrhundert.

Gratulationen kamen auch vom Vereinsringvorsitzenden Rüdiger Leineweber und von den Nachbarvereinen aus Dexheim und Trebur. Musikalisch mitgestaltet wurde die Geburtstagsfeier (wetterbedingt statt im Park im Johannes-Busch-Haus) vom Trio Dekade, zu dessen Musikbeiträgen jeweils von Axel Schwarz gestaltete Bilderrückblicke gezeigt wurden. Das gemütliche Beisammensein bei Niersteiner Wein und regionalen Tellern von Petra Buhl schloss sich dem offiziellen Teil an.

Bild oben: Professorin Dr. Sigrid Hirbodian vom Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen.
 
     
GVNInterview mit Hans-Peter Hexemer:

Herr Hexemer, Hand aufs Herz: Hätten Sie vor 25 Jahren gedacht, dass sie mit regionaler Geschichte so lange ein so aktives Vereinsleben haben und die Mitgliederzahlen stetig wachsen würden?

"Nein, unsere Erwartungen waren damals durchaus bescheidener. Wir wollten den Verein zuerst einmal etablieren. Das war schon nach kurzer Zeit gelungen, 2013 hatten wir bereits etwa 115 Mitglieder in unseren Reihen. Wir fanden Anerkennung durch unsere Arbeit.

Als mein Vorgänger, unser Gründungsvorsitzender Dr. Johannes Zimmermann 2013 den Vorsitz aufgab, hörten wir seine Sorge in den Worten: „Macht mer nur des Vereinsche net kaputt.“ Die Sorge war unbegründet. 2022 zählt unser Verein fast 300 Mitglieder, wird allseits geschätzt, ist zu einer Institution und zu einem kompetenten Ansprechpartner in Sachen Stadtgeschichte in Nierstein geworden: für die Stadt, für Menschen aus Nierstein und außerhalb und viele Institutionen.

Das alles war nur möglich mit tatkräftigen, zupackenden Frauen und Männern im Verein und seiner Führung. Heute unterstützen mich 11 Mitglieder im Vorstand, denen ich für ihren Einsatz meinen ausdrücklichen Dank aussprechen möchte."

     
GVNWas war ihr Ziel bei und mit der Gründung des Vereins?

"Uns ging es damals darum, unsere eigene Geschichtsbegeisterung auf andere zu übertragen. Das Thema Geschichte aus der Ecke zu holen und in die Mitte der örtlichen Gemeinschaft zu stellen.

Wir wollten auch den Impuls der 1250-Jahrfeier des Jahres 1992 aufnehmen und den seit damals bestehenden Arbeitskreis „Nierstein in seiner Vergangenheit“ in eine feste institutionelle Form bringen. Mit Vorträgen, Ausstellungen und Publikationen, öffentlich wirksamen Veranstaltungen, ein Angebot unterbreiten, bei dem es leicht war, mitzumachen.

Das Konzept ist aufgegangen, wurde immer wieder erweitert und ergänzt. Exkursionen in die nähere Umgebung oder unsere sehr beliebten Sommer-Kulturreisen trugen dazu bei, dass man sich näher kam und ein ebenso lebendiges wie auch familiäres Vereinsleben entstand. Heute wie vor 25 Jahren steht über allem: die Niersteiner und regionale Geschichte zu erforschen und zu vermitteln."

     
GVNWenn man sich mit der Historie der eigenen Heimatgemeinde befasst, dann sind das nicht immer nur angenehme Themen, die man zu bearbeiten hat. Sie engagieren sich besonders stark, wenn es darum geht, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Das hat nicht immer jedem gefallen, wenn man beispielsweise an die Verlegung der ersten Stolpersteine in Nierstein zurückdenkt. Wie gehen Sie damit um?

"Zur Geschichte gehören strahlende und finstere Epochen. Wir blicken auf Zeiten, an die wir uns mit Stolz und Hochachtung erinnern, aber ebenso auf Zeiten, wo uns die Taten unserer Vorfahren bis heute mit Trauer und Betroffenheit erfüllen. Beides gehört zusammen. Deshalb ist uns das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus so wichtig.

Der Geschichtsverein hat gegen politische Widerstände dafür gesorgt, dass seit 2013 Stolpersteine für die von den Nazis verfolgten, vertriebenen und ermordeten Niersteiner verlegt werden. Inzwischen geben 55 Stolpersteine den Opfern Namen und ein Stück ihrer genommenen Würde zurück.

Die Gedenk- und Erinnerungsarbeit ist mir ein Herzensanliegen und sie ist zu einem zentralen Aufgabenfeld des Geschichtsvereins geworden. Nie werde ich die Emotion von Angehörigen vergessen, als wir für die Opfer des Nationalsozialismus die ersten Stolpersteine verlegten. Solche Erlebnisse sind Motivation und Ansporn für uns!

Wir Nachgeborgenen tragen keine Schuld an den Verbrechen der Nazi-Zeit, wohl aber eine Verantwortung für heute, denn nur wer die Geschichte kennt, kann die Gegenwart verstehen und richtig handeln."

Bild oben: Landrätin Dorothea Schäfer gratuliert dem 1. Vorsitzenden Hans-Peter Hexemer im Namen des Landkreises Mainz-Bingen mit einer Ehrenurkunde.
 
GVNGeschichte anschaubar zu vermitteln, das bedeutet längst auch eine digitale Nutzbarkeit der Informationen. Welche Wege geht der Verein da?

"Wir nutzen die neuen Medien. Unser Internetauftritt bietet vielfältige Informationen zur Stadtgeschichte und berichtet ausführlich über unseren Verein und seine Aktivitäten.

Ebenso haben wir uns sehr aktiv bei der Umsetzung der von der Stadt initiierten Rundgänge KulTour Nierstein eingebracht, inhaltliche Impulse gegeben. Diese Rundgänge sind QR-Code basiert und bieten daher mit aktuellster Technik historische Informationen, fundiert, gut aufbereitet und für jedermann verständlich und erreichbar.

Auch beim neuesten Online-Projekt KuLaDig, das Niersteiner Geschichte via App vermitteln wird, arbeiten wir eng mit der Stadt und der Uni Koblenz zusammen."

Bild oben: Dr. Susanne Bräckelmann und Hans-Peter Hexemer    
     

GVNNierstein und Geschichte, da denken in Rheinhessen viele Eltern und Kinder auch an das paläontologische Museum. Wie wichtig sind solche Anlaufpunkte, um nachwachsende Generationen für Geschichte generell zu begeistern?

"Orte, Menschen und Ideen erzählen Geschichte und machen sie erlebbar, man begreift, was man begreifen kann.

Insofern bieten das Museum, das Sironabad, der Wartturm, die Schlossruine Schwabsburg, ebenso wie die alten Adelshöfe in Nierstein ideale Anknüpfungspunkte, um auf Geschichte aufmerksam zu machen.

In unserer letzten Vorstandssitzung haben wir diskutiert, wie wir Geschichte noch besser auch an jüngere Zielgruppen, Kinder, Familien und Jugendliche heranbringen können. Unser Vorstand hat eine Arbeitsgruppe gebildet, von der ich im Laufe des Jahres neue Überlegungen und Vorschläge erwarte."

Bild oben: Klaus Penzer, Eberhard und Katrin Beck, Susanne Bräckelmann, Rüdiger Leineweber, Axel Schwarz, Hans-Peter Hexemer und Udo Wernher (vertreten durch seine Nichte Marina Wernher).
 
GVNInzwischen haben Sie fast 30 Niersteiner Geschichts-blätter veröffentlicht. Was ist das Thema zum Jubiläum?

"Die jährlichen Geschichtsblätter, bearbeitet von Susanne Bräckelmann, bieten immer eine Bandbreite verschiedener Themen an, die Sonderhefte sind jeweils einer Thematik gewidmet.

Titelthema des Jahreshefts 2022 wird der Vortrag von Frau Professorin Dr. Sigrid Hirbodian vom Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen sein, sie wird bei unserem Jubiläumsfest Hauptrednerin sein. Der Vortrag befasst sich mit einem bis heute Nierstein prägenden Zeitabschnitt: Adel und Adelshöfe in Nierstein vom 13. bis zum 17. Jahrhundert.

Daneben ist die Sophienkirche aus Anlass von 200 Jahren evangelischer Kirchenunion ein Thema sowie eine neuere Marktplatzstudie."

Bild oben: Landtagsabgeordnete Kathrin Anklam-Trapp    
     
GVNWie aktuell Niersteiner Geschichtsschreibung ist, hat man nicht zuletzt an der Diskussion um die Frage nach der ältesten Weinlage Deutschlands gesehen. Bisher bestand kein Zweifel daran, dass das die Glöck ist. Nun schon. Auch wenn die Debatte nicht die größte Freude ausgelöst hat in Nierstein: Zeigt das nicht, wie wichtig und immer wieder aktuell Dorfgeschichte und die Vermittlung dazu ist? Wie gehen Sie als Verein konkret damit um?

"Die Feinde des Historikers sind regelmäßig Zeitzeugen und Legenden. Gleichwohl lebt die Geschichte auch davon.

Und: Erzählungen sind langlebig und beständig, das gilt auch für die Glöck. Die Debatte zeigt, dass der Umstand wie die Glöck vor mehr als 150 Jahren die älteste Weinbergslage Deutschlands geworden ist und bis heute bleiben konnte, selbst schon ein Stück Geschichte geworden ist, dank dem genialen Philipp Finck.

Zur Sache selbst ist in den letzten Wochen schon viel ausgetauscht worden, dem habe ich nichts hinzufügen. Außer: von der Glöck trinke ich noch lieber, als dass ich über sie rede."

Bild oben: Bürgermeister der Verbandsgemeinde Klaus Penzer und Hans-Peter Hexemer.
     
GVNWas ist zum Jubiläum geplant?

"Neben unserer Festveranstaltung am 24. Juni im Gemeindepark, für die keine Reservierungen mehr möglich sind, gibt es zum Jubiläum statt eines Festbuches, die Geschichte des Vereins auf CD, eine reiche Text- und vor allem Bilddokumentation unter dem Titel „25 Jahre Geschichte erleben und gestalten - Säulen der Vereinsgeschichte“, die unser Schatzmeister Axel Schwarz mit unglaublichem Aufwand und Akribie zusammengestellt hat.

Die CD kann unter mail@geschichtsverein-nierstein.de bestellt werden.

Außerdem gibt es das ganze Jahr über weitere Veranstaltungen, über die sich Interessierte auf der Homepage www.geschichtsverein-nierstein.de informieren können."

     

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Fotos: Heiner Bräckelmann    
     
© Geschichtsverein Nierstein e.V.    
     

Nierstein, Juli 2022