Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
 
Verfolgung und Widerstand in Nierstein
 
Unfassbar, aber es war so, der Anfang von allen Verbrechen der Nationalsozialisten, die im Holocaust endeten, hatte ganz in unserer Nähe Fuß gefasst und wurde von Unmenschen praktiziert. Dabei befand sich das Naziregime, das so genannte "1000-jährige Reich", erst im Entstehen. Jedes menschliche Denken setzt aus, wer schon Dokumentarfilme gesehen oder Berichte etwa zur Euthanasie gelesen hat.
Auch 76 Jahre nach den ersten Verbrechen im Konzentrationslager Osthofen interessierten sich über 50 Bürger aus Nierstein und der Umgebung im Ausstellungsraum des Rathauses, über die Gräueltaten, die von der SA und SS dort verübt wurden.

   
Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

Der Vorsitzende des Geschichtsvereins Dr. Johannes Zimmermann und Bürgermeister Thomas Günther hatten am 27. Januar gemeinsam zum allgemeinen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus ins Rathaus eingeladen. Mit Angelika Arenz-Morch, Mitarbeiterin des NS-Dokumentationszentrums Rheinland-Pfalz, Gedenkstätte KZ Osthofen, konnte eine kompetente Referentin und Forscherin des grausamsten Kapitels der deutschen Geschichte nach Nierstein gerufen werden.
Bisher war in der Gemeinde noch nicht bekannt, dass im Zuge der Euthanasie wegen körperlicher Behinderungen acht Menschen in Hadamar und Eichberg ermordet wurden. Sechs Bürger erhielten eine Zwangssterilisation. 24 jüdische Bürgerinnen und Bürger mussten von 1942 bis 1944 in Auschwitz, Birkenau und Theresienstadt ihr Leben lassen.
Zurück zum KZ Osthofen, das 1933 eröffnet und 1934 wieder geschlossen wurde. 21 Niersteiner wurden dort eingesperrt. Es waren Mitglieder der SPD, KPD, Juden, Gewerkschaftler, Parteilose, Atheisten, Christen, Sinti und Roma, die vom NS-Regime als Feinde angesehen wurden. In dem gezeigten Film konnten noch überlebende Insassen vor einigen Jahren ihre persönlichen Eindrücke im KZ Osthofen schildern.

In den Ortschaften lief meist alles nach einem gleichen Schema ab. Die oppositionellen gegen die NSDAP wurden morgens um 6 Uhr auf dem Marktplatz von einer großen SA-Schar zusammengetrieben, diskriminiert, geschlagen, auf einen Pritschenwagen getrieben und nach Osthofen verfrachtet. Dort waren sie praktisch keine Menschen mehr und mussten unter barbarischer Aufsicht die zugewiesene Arbeit verrichten. Zu essen gab es nicht viel. Der Hunger war ständig da. Das Wort Hygiene war unbekannt. Den Kot hinter dem Donnerbalken entfernten die Inhaftierten in Blechdosen. Schlafen mussten die Gefangenen auf dem harten Betonboden der ehemaligen Papierfabrik. Nach außen lief das ganze unter dem Decknamen der Umerziehung ab. Die Inhaftierten sollten zu "besseren" Menschen umerzogen werden. Viele wussten auch nicht, dass schon im KZ Osthofen die Unmenschlichkeit ihren ersten Höhepunkt erreichte. Wer nicht nach der Pfeife des Wachpersonals tanzte, kam in Osthofen zum verschärften Arrest in die "Holzmühle", wo die Bestien gegenüber den Gefangenen die Hölle garantierten. Die dortigen Spuren der Menschen verlieren sich meist in den großen Vernichtungslagern.

Text und Fotos: Werner Baum

   
Arenz-Morch verwies auf die bereits 1930 mit 237 Mitgliedern starke NSDAP-Ortsgruppe in Nierstein. Für die Referendarin darf es niemals aufhören, die Verantwortlichen der damaligen Unmenschlichkeit zu ermitteln und zu benennen. Den Geschichtsverein forderte sie abschließend auf, die niersteiner Zeiten in der Nazi-Diktatur noch genau unter die Lupe zu nehmen. Das Dokumentationszentrum ist auch für die Mithilfe der Bürger dankbar. Hinweise seien unter Telefon (06242) 9108-19 willkommen.
Daten, die noch wichtig sind: 1933 wurde in Osthofen das erste Konzentrationslager im damaligen Volksstaat Hessen errichtet. Gegner der Hitlerdiktatur wurden dort in die so genannte Schutzhaft genommen.

In Nierstein waren damals viele bereit, so Arenz-Morch, Bürger, die anderes Gedankengut hatten, beim damaligen Bürgermeister zu verraten. Die Verhaftungen folgten kurze Zeit später.