"Nicht mehr schweigen und verdrängen" - Geschichtsverein und Stadt Nierstein gedachten der Opfer des Nationalsozialimus

Vortrag zu Niersteiner und Schwabsburger Opfern der NS-Krankenmorde und Ausstellung zu den Krankenmorden

GVN

Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, am 27. Januar, fand eine eindrucksvolle Veranstaltung von Geschichtsverein und Stadt Nierstein im Rathaus statt, in der vom Vorsitzenden Hans-Peter Hexemer und Stadtbürgermeister Jochen Schmitt aller Opfer gedacht wurde.

Die Riesling-Galerie war bis auf den letzten Platz besetzt, noch im Treppenhaus folgte das Publikum tiefbewegt den Lebenswegen zweier Menschen aus Nierstein und Schwabsburg, die Opfer des systematischen Massenmordes an mehr als 200.000 Kranken und Schwachen geworden waren. Ein Verbrechen, das gewissermaßen vor der Haustür stattfand und gleichzeitig der Ermordung der europäischen Juden den Weg ebnete.

Johanna Schneider wurde 47 Jahre alt, wegen einer psychischen Erkrankung lebte sie mehrere Jahre in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Alzey. Hans Borngässer war 23 Jahre alt, als er starb. 19 Jahre seines Lebens hatte er aufgrund einer geistigen Behinderung in wechselnden psychiatrischen Einrichtungen verbracht, die längste Zeit davon in den Nieder-Ramstädter Anstalten nahe Darmstadt. Beide wurden im Frühling 1941 im Abstand weniger Wochen im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ in Hadamar ermordet.

GVN Renate Rosenau, die sich seit mehr als dreißig Jahren der Erforschung der NS-Psychiatrie widmet, und Jörg Adrian, im Geschichtsverein Nierstein zuständig für die Gedenk- und Erinnerungsarbeit, begaben sich in einem gemeinsamen Vortrag auf Spurensuche.

Angehörige von Hans Borngässer und Johanna Schneider hatten um Unterstützung bei der Recherche nach ihren ermordeten Verwandten gebeten – und um ein würdiges Gedenken.

Gemeinsam hatten Rosenau und Adrian daraufhin Dokumente zusammengetragen, Aktenvermerke und Listen ausgewertet, um die Biografien der beiden Opfer exemplarisch nachzeichnen und in den historischen Kontext der NS-Medizinverbrechen an Kranken und Schwachen stellen zu können.

Dabei spielten die eigens geschaffenen Gesetzesgrundlagen des NS-Regimes und seine Maßnahmen zur erbbiologischen Erfassung der Bevölkerung ebenso eine Rolle wie die Organisation des Massenmordes und die aufwändigen Täuschungsversuche zu seiner Verschleierung. Im Mittelpunkt aber standen beispielhaft die beiden Menschen, die als „unwertes Leben“ disqualifiziert und aussortiert worden waren.

Am 5. April 2025 wird für Johanna Schneider und Hans Borngässer durch den Künstler Gunter Demnig jeweils ein Stolperstein in Nierstein und Schwabsburg verlegt werden.

Wünschenswert wäre es, wenn auch an die anderen Opfer der NS-Medizinverbrechen aus Nierstein und Schwabsburg auf diese Weise erinnert werden könnte.

Nachweislich wurden im Zuge der „Aktion T4“ zwischen Januar und August 1941 noch vier Menschen aus Nierstein und Schwabsburg in Hadamar ermordet, wahrscheinlich weitere sechs Männer und Frauen wurden im Rahmen der sogenannten „dezentralen Euthanasie“ ab 1941 an unterschiedlichen Orten getötet, zwei kleine Jungen fielen auf dem Eichberg bei Eltville der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ zum Opfer. Damit das Verdrängen ein Ende hat und ihre Namen und ihre Lebensgeschichten nicht Vergessenheit geraten.

Mit dem Vortrag wurde auch die Ausstellung „Das Leben war jetzt draußen, und ich war dort drinnen." zu den NS-Krankenmorden eröffnet, die vom Mainzer Haus des Erinnerns und für Demokratie ausgearbeitet wurde und die bis 14. Februar im Rathaus zu sehen ist.

     
     
© Fotos 1 + 2 Heiner Bräckelmann, Foto 3 Elfriede Hexemer    
     

Nierstein, Januar 2025