Historik-Exkurs durch Niersteins Gemarkung
Zum Jubiläum eine Rundfahrt zu selten besuchten Orten

von Hellmut Wernher
 

Auf besonders interessante Art gestaltete der Geschichtsverein sein 15. Jubiläum: Statt einer akademischen Feier steuerten Mitglieder und Freunde auf vier "Weinbergskärrnchen" außerhalb der üblichen Rundfahrtrouten historisch relevante Punkte an, an denen Kurzvorträge auf ihre geschichtliche Bedeutung für Nierstein hinwiesen. Selbstverständlich kam dabei die heiter-gesellige Note nicht zu kurz.

Am Startpunkt, dem Fronhof, erläuterte Elli Fischer-Zimmermann, dass an diesem Platz im 8. Jahrhundert neben einer Burg auch die Peterskapelle stand, dass nach Karl dem Großen auch andere Könige die Kaiserpfalz besuchten. Vier Tore besaß der befestigte Ort: Saal-, Weed, Obere und Mainzer Pforte. In des Kaisers Scheune und Kelter hatten die Untertanen ihren Frucht- und Weinzehnt abzuliefern. Die Martinskirche, deren Chorturm aus dem 12. Jahrhundert stammt, wurde 1722 erbaut, später abgerissen bis auf den Hauptturm und 1896 mit dem Querschiff versehen.

   

Unterhalb der Kilianskirche öffnete Otto Schätzel das Tor zur 2,1 Hektar kleinen Weinbergslage "Glöck", die sich seit 1920 im Besitz der Staatlichen Weinbaudomäne befindet. Sie ist zwar nicht die älteste, aber die am ersten urkundlich erwähnte Weinbergslage Deutschlands. 742 schenkte der Karolinger Karlmann den Weinberg samt Marienkirche dem Kloster Würzburg. Der nahe Rhein, die Hangneigung von 20 Grad, die hellsandige Lössauflage auf dem Rotliegenden und die das Areal vollständig umgebende, vor kalten Winden schützende Mauer sorgen für ein besonderes Mikroklima, dessen Auswirkung sich bei der Rieslingprobe auf der Zunge durch ein Spiel aus Fruchtigkeit und Mineralität offenbarte.

Am Roten Hang zeigte Arnulf Stapf auf einer Tonsteinplatte winzige Insektenspuren, die vor 280 Millionen Jahren entstanden, als sich die 6000 Meter tiefen Senken am heutigen Rheingraben mit dem Abraum der sie umgebenden Hochgebirge füllten.

     

Unfassbar, so Stapf, dass sich aus den Insekten Dinosaurier und Säugetiere entwickelten. Wenige hundert Meter weiter nördlich erreichten die Geschichtsfreunde ein Fleckchen, das vielen unbekannt war: das Humboldt-Eck. Wie Otto Augustin berichtete, hat es der Schuljahrgang 1947/48 vor wenigen Jahren zu einem Ruhepunkt geschaffen in Erinnerung an eine Kutschfahrt, die die Weltreisenden und Naturforscher Georg Forster und Alexander von Humboldt 1790 von Mainz nach Nierstein führte und sie zu einem Lob des roten Gesteins und des Weins veranlasste.

Am Wartturm erwartete Ortsbürgermeister Thomas Günther die Geschichtsfreunde und dankte dem Verein für seine viel beachtete Arbeit mit einem Gutschein. In seiner Erwiderung meinte Hans-Peter Hexemer, 2. Vorsitzender des Geschichtsvereins, das schönste Geschenk wäre, wenn sich Günther tatkräftig für die Anbringung von Stolpersteinen einsetzen würde. Auch VG-Bürgermeister Klaus Penzer und Vertreter befreundeter Geschichtsverein überbrachten Glückwünsche.

Am Schloß Schwabsburg erinnerte Georg Zimmermann daran, dass die hoch über dem Dorf gelegene Staufferburg 1244 erstmals urkundlich erwähnt und im Dreißigjährigen Krieg 1620/21 zerstört wurde. Sie diente als Wehrburg der Sicherung des sie umgebenden Reichsgutes bis zum Ingelheimer Grund. Zum Ausklang im Haxthäuser Hof schließlich erfuhren die Geschichtsfreunde, dass das Gebäude nach seiner Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg von den Freiherrn von Haxthausen 1722 im Barockstil neu erbaut wurde und 1804 von Johann Wilhelm Wernher, Untersuchungsrichter im Schinderhannesprozeß, ersteigert wurde. Sein 1802 geborener Sohn Philipp Wilhelm gehörte nicht nur dem hessischen Landtag von 1844 bis 1872, sondern als liberaler Abgeordneter1848 auch der Deutschen Nationalversammlung an. Er war kein Revolutionär, sondern mit seinem Freund Heinrich von Gagern bestrebt, in einer Reform unter Wahrung des Rechtszustandes nationale Einheit und bürgerliche Freiheit zu verwirklichen.

Die Landtagsabgeordne Pia Schellhammer (Die Grünen), die die Exkursion miterlebt hatte, lobte zum Abschluß den Geschichtsverein für seine Arbeit, die der ganzen Region zugute komme, denn nur wer die Vergangenheit kenne, könne auch die Zukunft gestalten.

 

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Geschichtsverein Nierstein, September 2012