Julia Kreuzburg berichtet über die „Arisierung“ des jüdischen Weinhandels in Rheinhessen durch die Nationalsozialisten
Von Wolfgang Höpp

Auch die jüdischen Weinhändler in Rheinhessen und in Nierstein wurden von den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933 verfolgt. Welch perfider Mittel sich die Nazis dabei bedienten, um sie ihrer Betriebe und ihres Privatvermögens zu berauben, stand im Mittelpunkt des Vortrages anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus beim Geschichtsverein Nierstein.

Beschönigend hätten die Nazis diesen scheinlegalen Raub „Arisierung“ genannt, wie Vorsitzender Hans-Peter Hexemer sagte.
Die Verfolgung habe vor 80 Jahren ihren schlimmen Höhepunkt in den Novemberpogromen von 1938 erreicht,

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als auch in der Rheinstraße die Häuser der jüdischen Weinhändler Blum und Kaufmann verwüstet worden seien, berichtete Hexemer.

„Auschwitz kam nicht aus dem Nichts“, erklärte Stadtbürgermeister Thomas Günther. Erinnern und Gedenken, um das sich der Geschichtsverein seit Jahren kümmere, sei deshalb notwendig, auch um der Gefahr der Wiederholung entgegenzuwirken. Mit ihrer Masterarbeit hatte die Historikerin Julia Kreuzburg sich dem Thema der sogenannten Arisierung des jüdischen Weinhandels in Rheinhessen gewidmet und damit wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet.

In ihrem Referat stellte Kreuzburg exemplarisch an Hand von drei jüdischen Weinhandlungen – H. Sichel und Söhne aus Mainz (Hermann, Eugen, Karl und Franz Sichel), Jakob Blum (Richard und Willi Blum) aus Mainz und Gärtner/Blum aus Nierstein – die Vorgehensweise der Nationalsozialisten nach 1933 dar, die Weinhändler im hiesigen Raum aus dem Geschäft zu verdrängen.

Die Juden hatten sich in Rheinhessen wegen eingeschränkter Betätigungsfelder hauptsächlich auf eine starke Betätigung im Weinhandel konzentriert.

1935 gab es in Mainz noch 186 Betriebe, wovon schätzungsweise ein Drittel in jüdischer Hand waren.

Die Umsetzung der schon 1931 konzipierten Reichsfluchtsteuer, die Einschränkung von Devisengeschäften, Kontensperrungen, Kontenpfändungen, das Einfrieren von Vermögen und Erstellen von sogenannten Steuersteckbriefen sind nur eine kleine Auswahl von brutalen „Nadelstichen“, die den Juden geschäftlich und privat zugefügt wurden.

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1938 war nach den „Nürnberger Gesetzen“ von 1935 ein Schlüsseljahr in der systematischen Judenverfolgung: Auf die Pogromnacht am 9/10. November folgte am 12. November die Bekanntgabe der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaftsleben“.

Die Niersteiner Weinhandlung Gärtner/Blum und die dazugehörenden Immobilien wurden später an „Arier“ verkauft und der Betrieb von Jakob Blum aufgelöst. Die Familie Sichel schaffte es, 1938 ins Ausland zu flüchten. Die öffentlichkeitswirksamen Weinhändlerprozesse in Mainz von 1935 bis 1938 gehörten zu den wohl böswilligsten Instrumenten, das Prestige der jüdischen Weinhändler nachhaltig zu schädigen und im Endeffekt ihre wirtschaftliche Existenz auch zu zerstören.

Die nationalsozialistische Justiz klagte die Weinhändler hauptsächlich wegen des Verstoßes gegen das Weingesetz, wegen Devisenvergehen, Weinpanscherei, Wucherpreisen und wegen Betrugs beim Weinverkauf an.

Die gleichgeschaltete Justiz verhängte in vielen Strafverfahren existenzbedrohend hohe Geldstrafen.

„Daraus ist eindeutig erkennbar, dass bei den ganzen Handlungen des nationalsozialistischen Regimes die inzwischen legalisierte Enteignungsabsicht dahinter stand“, fasste Julia Kreuzburg abschließend ihren Vortrag zusammen.

(AZ vom 30.01.2018)

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Fotos: Geschichtsverein Nierstein    
     

Nierstein, 26.01.2018