Vortrag: Das Kornsand-Verbrechen und die Justiz

Auf überaus große Resonanz stieß der fünfte und letzte Vortragsabend des Geschichtsvereins Nierstein im Jubiläumsjahr „1275 Jahre Nierstein – 20 Jahre Geschichtsverein Nierstein“: Gut 60 Zuhörer waren ins Weingut Andrea Mann gekommen, um vom Referenten Winfried Seibert mehr darüber zu erfahren, wie die Justiz der Nachkriegszeit über die Kornsand-Verbrechen geurteilt hat.
Unter ihnen Edith Eller-Glässel und Gertrude Weber, geb. Eller, Nachfahren des ermordeten Ehepaars Eller.

Winfried Seibert, Jahrgang 1938, war über 50 Jahre als Rechtsanwalt in Köln tätig und hat sich intensiv mit der Geschichte der Justiz während der NS-Zeit und im Nachkriegsdeutschland beschäftigt.

    Geschichtsverein Nierstein e.V.
     Auf großes Interesse stieß der Vortrag im Weingut Andrea Mann.
Zwei seiner juristisch-historischen Forschungen handeln von Gerichtsverfahren in Rheinhessen, von dem Dolgesheimer Mord und dem Kornsand-Verbrechen – beide wurden vom Landgericht Mainz entschieden.

Zunächst skizzierte Seibert den Ablauf des Geschehens. Warum die sechs Niersteiner am 18. März 1945 verhaftet und zur Gestapo nach Darmstadt gebracht wurden, konnte nie wirklich geklärt werden. Von der Gestapo freigelassen und am 21. März zurück nach Nierstein geschickt, fielen sie an der Fähre fanatischen Nationalsozialisten zum Opfer.

Nur einem gelang es noch zu fliehen, die übrigen fünf wurden erschossen: Cerry und Johann Eller, Jakob Schuch, Georg Eberhardt und Nikolaus Lerch, außerdem als sechstes Opfer der Oppenheimer Rudolf Gruber, den man der Fahnenflucht beschuldigt hatte.

  GVN
     Referent Winfried Seibert
 
Ausführlich stellte der Jurist dann dar, wie kompliziert die Zeitumstände und wie groß die Schwierigkeiten gewesen waren, überhaupt eine rechtliche Grundlage für eine Verurteilung zu finden. Dazu gab es im Nachkriegsdeutschland kaum unbelastete Juristen, die nicht auch in der NS-Zeit tätig gewesen waren. Die Prozesse fanden 1949 und 1950 statt, einer der vier Angeklagten wurde „mangels Beweises“ freigesprochen, die anderen drei wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu Strafen zwischen drei Jahren und lebenslänglich verurteilt.

Alle drei bemühten sich um eine Revision bzw. Wiederaufnahme der Verfahren. Als sich nach der Gründung der Bundesrepublik die politische Großwetterlage änderte, änderte sich auch der Ton manches Juristen, der eine Begnadigung der Verurteilten erreichen wollte. Besonders erschreckend waren die Text-Passagen, die Seibert aus den Angriffen gegen die Verurteilung der Mörder und an diesem Mord Beteiligten zitierte, die in ihrer Diktion an aktuelle Vorkommen erinnern: an Argumente, die heute von Vertretern der AfD vorgebracht werden. Eine intensive und anregende Diskussion beschloss diesen nachdenklich stimmenden Abend.

Winfried Seibert hat zu dem Thema einen Aufsatz verfasst, der in der im Juli 2008 bei C.H. Beck erschienenen Festschrift für Sigmar-Jürgen Samwer, Rechtsanwalt in Köln, erschienen ist. Darauf basiert auch dieser Text, der online nachzulesen ist:
www.hans-dieter-arntz.de/das_kornsandverbrechen_und_die_justiz.html#_edn1

Weitere Publikationen von Winfried Seibert:

  • Das Mädchen, das nicht Esther heißen durfte, Reclam, 309 S., Leipzig 1996 (1997 als juristisches Buch des Jahres ausgezeichnet).
  • Der jüdische Friedhof in Dalheim und Schicksale Dalheimer Juden. 96 S. zahlr. Abbildungen. Emons Verlag 2017.
     
     

Nierstein, November 2017