Begrüßung anlässlich der Eröffnung der Ausstellung
"Das Kornsand-Verbrechen"

im Rathaus Nierstein am 27. Februar 2015
"Unser Platz muss immer an der Seite der Opfer sein"

Meine Damen und Herren,
im Namen des Geschichtsvereins Nierstein heiße ich Sie alle herzlich willkommen zur Eröffnung der Ausstellung "Das Kornsand-Verbrechen". 70 Jahre danach sind wir dort versammelt, wo das Unheil damals seinen Ausgangspunkt nahm. Eine Verkettung von Verblendung und Unmenschlichkeit, von Denunziation und moralischer Verrohung. Dem Verbrechen fielen Cerry und Johann Eller, Jakob Schuch, Georg Eberhardt, Nikolaus Lerch und Rudolf Gruber zum Opfer - fünf Niersteiner und ein Oppenheimer. An diese Untat in den letzten Stunden der furchtbaren Nazi-Zeit zu erinnern, bleibt unsere Aufgabe. Damit was damals geschah, sich nie wiederhole. Das ist unser Versprechen - besonders gegenüber den Opfern und ihren Nachfahren.

Ich freue mich deshalb, dass heute mit Gertrud Weber geborene Eller und ihrem Mann Herbert Nachkommen von Johann und Cerry Eller meiner Einladung gefolgt sind. Dass Karl-Heinz Schuch und seinem Bruder, Enkel von Jakob Schuch, hier sind und dass mit Dagmar Friedrich, Inge Wegmann, Eva Seitz-Thomas und Rolf Seitz Angehörige von Georg

    Geschichtsverein Nierstein e.V.
Eberhardt sowie Ulrike Willius, die Enkelin von Rudolf Gruber bei uns sind. Ihnen gilt mein besonderer Gruß und Dank.

Nie werde ich den Tag und die Stunden vergessen als wir die Stolpersteine für die Kornsand-Opfer vor zwei Jahren im Beisein und unter ihrer Mitwirkung verlegt haben. Wer es bis dahin nicht gewusst und begriffen hatte, warum wir die Erinnerung wachhalten müssen, der hat damals erfahren wie wichtig es ist die Opfer wieder in unsere Gemeinschaft aufzunehmen. Wer je Zweifel haben mochte, wo sein Platz sei, dem ist dabei bewusst geworden: Unser Platz muss immer an der Seite der Opfer sein.

Dass dies in den 70 Jahren seit dem Verbrechen nicht von allen immer so klar gesehen wurde, ist selbst inzwischen eine historische Tatsache, sie kann erklärt werden, bleibt aber dennoch unverständlich.

Wie kann einer der Täter sich jahrelang auf die Flucht begeben, untertauchen und sich hinterher vor Gericht für unschuldig erklären? Die juristische Aufarbeitung des Verbrechens bleibt bis heute ein einziges Trauerspiel. Was schließlich an Urteilen herauskam, hat weder zu wirklicher Strafe, geschweige denn zur Reue geführt. Fahnenjunker Heinrich Funk lebte in Nierstein unbehelligt unter den Nachfahren seiner Opfer bis er hochbetagt starb. Noch 1985 sagte er dem "Stern" in einem Interview, dass er genau noch einmal so handeln würde wie damals, als er die Niersteiner an der Fähre denunzierte und damit unmittelbar das Verbrechen auslöste.  

Wie war es möglich, dass so viele keine weitere Verantwortung  bei sich selbst sahen? Moralische Verantwortung? Nein: Nicht dabei gewesen, nichts gesehen, nichts gehört? Nicht als die ersten Opfer der Nazis 1933 nach  Osthofen kamen, nicht als die Juden vertrieben und in Lager gesperrt wurden, um sie schließlich zu töten? Nichts als 1945 die fünf Niersteiner als alte politische Gegner verhaftet wurden? Daraus erwuchs in weiten Teilen der Bevölkerung eine gewisse innerliche Distanz zum Geschehenen.

Gleichwohl haben die Gemeinden Nierstein und Oppenheim mit all ihren politischen Kräften das Gedenken an die Opfer von Anfang an wachgehalten. So wurde 1948 eine gemeinsame Gedenkfeier auf dem Niersteiner Friedhof abgehalten, 1954 der Gedenkstein auf dem Kornsand errichtet und im Beisein des Widerstandskämpfers und vormaligen Innenministers von Rheinland-Pfalz Jakob Steffan den sechs Opfern gewidmet. Seitdem legen die Vertreter der Gemeinden Nierstein, Oppenheim und Trebur regelmäßig am Gedenktag dort Kränze nieder, zudem wird für die Pflege der Anlage gesorgt.

Doch schnell geriet das Gedenken auch in den Sog des  Ost-West-Konflikts und des Kalten Krieges und der Angst vor dem Kommunismus. Schließlich waren neben den Sozialdemokraten Jakob Schuch und Johann Eller mit Nikolaus Lerch und Georg Eberhardt unter den Opfern zwei Kommunisten gewesen.  So waren später die Kommunisten der DKP vor Ort darum bemüht, durch eigene Gedenkfeiern mit dem Bund der Antifaschisten und Verfolgten -VVN dieses Verbrechen in einen Zusammenhang mit dem anti-imperialistischen Kampf gegen die Bundesrepublik zu stellen und es politisch zu instrumentalisieren.

Das Jahr 1985 war für die Gedenkarbeit ein wichtiges Datum, weil zum 40. Jahrestag erstmals durch die Mitarbeit der Kirchen eine gemeinsame Gedenkveranstaltung der Kommunen, der örtlichen Parteien und weiterer Organisationen durchgeführt wurde.  Die Zeit war reif für ein Umdenken: Zuerst musste an die Opfer gedacht werden. Ich erinnere mich sehr genau an die Kritik in meiner eigenen Partei, als unter vielen anderen auch die SPD Nierstein gemeinsam mit der DKP Oppenheim zum Gedenken aufrief. Das Jahr 1985 war auch deshalb wichtig, weil damals das Mahnmal für die Niersteiner Kriegsopfer 1939 - 1945 um eine Gedenktafel ergänzt wurde, auf der aller Verfolgten der Nazi-Zeit gedacht wird. Ebenso wichtig war es, dass der Gemeinderat in dieser Zeit auf gemeinsamen Antrag der Fraktionen einstimmig beschloss, die Straße an der Fähre als "Straße der Kornsand-Opfer" zu benennen und damit auch ein sichtbares Gedenken in Nierstein zu schaffen.

Seit 1985 finden jährlich gemeinsame Gedenkfeiern statt. Darüber hinaus wird vielfältig über das Verbrechen vom Kornsand und seine Zusammenhänge informiert. Seit Anfang der 1990er Jahre besteht eine staatliche Gedenkarbeit auch in Rheinland-Pfalz. Heute ist es notwendig, in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit neue Wege einzuschlagen, um die jungen Menschen anzusprechen. Nur noch wenige Zeitzeugen können Auskunft geben. Wer jedoch einen Zeitzeugen gehört hat, der wird selbst zum Zeitzeugen und muss die Botschaft weiter tragen.

Ich freue mich über das Interesse an der Ausstellung. Lassen Sie mich einige Gäste aus Politik und Gesellschaft besonders begrüßen:
Mit Klaus Hagemann, der heute die Hauptansprache zur Eröffnung halten wird, begrüße ich den Vorsitzenden des Fördervereins Projekt Osthofen und unseren früheren Bundestagsabgeordneten.
Ich freue ich mich über die Anwesenheit von Repräsentanten  der Verbandsgemeinde Rhein-Selz, für alle nenne ich - obwohl gerne der Eindruck erweckt wird starke Männer würden dort den Ton angeben - vier starke Frauen: die Beigeordnete Gabi Wagner, die Gleichstellungsbeauftragte Nicole Bernard, die Beauftragte für Inklusion und Integration Nina Klinkel und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Christina Bitz.
Mit Dank begrüße ich Bürgermeister Carsten Sittmann aus Trebur, der zu uns sprechen  wird. Der Gemeinde Trebur verdanken wir die Ausstellung, die dort zum 50. Jahrestag konzipiert und realisiert und vor 9 Jahren von uns erstmals in Nierstein gezeigt wurde.
Herzlich willkommen auch die Vertreter der Stadt Oppenheim Herrn Beigeordneten Hans-Jürgen Bodderas.
Mein Gruß gilt den Repräsentanten der Stadt Nierstein, die die Ausstellung unterstützen und den Raum zur Verfügung gestellt haben, an der Spitze den Ersten Beigeordneten Egid Rüger, die weiteren Beigeordneten und die Fraktionsvorsitzenden. Herr Rüger wird heute die Rednerfolge abschließen.
Ich komme zu den in der Gedenkarbeit engagierten Menschen und begrüße stellvertretend für alle Mitarbeiter des Arbeitskreises Kornsand Raimund Darmstadt.
Schließlich begrüße ich die Mitglieder des Geschichtsvereins Nierstein, darunter besonders die Mitstreiter unseres Arbeitskreises Stolpersteine, stellvertretend nenne ich Uwe Stapf, unseren 2. Vorsitzenden und Mathias Hammes.

Der Geschichtsverein Nierstein hat seit seiner Gründung im Jahre 1997 die Gedenk- und Erinnerungsarbeit an die Zeit des Nationalsozialismus zu einem seiner Schwerpunkte gemacht. Wir sind mit unserem Arbeitskreis Stolpersteine die Träger der Stolperstein-Verlegungen in Nierstein und erfahren dabei viel Unterstützung aus allen Bereichen unserer Stadt. Vor einem Jahr habe ich beim Kornsand-Gedenken die Ansprache halten dürfen und dabei auch gefordert, die noch auf den Niersteiner Friedhöfen vorhandenen Gräber der Kornsand-Opfer zu Ehrengräbern der Stadt zu erklären.

Heute Abend wird - nach einigen internen Diskussionen über den Text des Antrags - in der Sitzung des Stadtrates beschlossen werden, dass die Gräber von Jakob Schuch, der Familie Eller und von Georg Eberhardt auf Dauer zu Ehrengräbern der Stadt erklärt und von der Stadt erhalten werden. Das ist ein gutes Signal - 70 Jahre nach Morden.
Ein weiteres Zeichen gegen das Vergessen.

Meine Damen und Herren,
die Ausstellung will informieren, die Geschehnisse aufzeigen, der Opfer gedenken und die Täter benennen.
Sie nimmt uns mit, auch emotional. Wir reden über diese Zeit, wir verschweigen sie nicht mehr. Wir wollen gerade auf junge Menschen zugehen und mit ihnen über die Ereignisse sprechen. Ich freue mich daher, dass Caroline und Juliane, Schülerinnen des Rabanus-Maurus-Gymnasiums in Mainz, sich ganz aktuell im Rahmen des Geschichts-Wettbewerbs des Bundespräsidenten  mit dem Thema befasst haben.

Ich hatte anfangs die bewegenden Momente bei der ersten Stolperstein-Verlegung angesprochen. Es sind viele Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung gesetzt worden. Jeder hat seine eigenen Ansatzpunkte. Aber eines ist wichtig und muss stets klar ausgesprochen werden:
Unser Platz muss immer an der Seite der Opfer sein.

     
     
Bild: Geschichtsverein Nierstein    
     

Nierstein, März 2015