„Vom Lehrer zum Weingutsbesitzer“ – Vortrag über den Gründer des Weinguts Schätzel

Der Geschichtsverein Nierstein hat am 14. Juni 2019 zu einem anregenden Vortrag von Otto Schätzel eingeladen.

Mehr als 50 Interessierte folgten seinen ausführlichen Erzählungen aus einer spannenden Zeit. Es ging um Jacob Schlamp (1807–1887) und die Geschichte des Weinguts Schlamp-Schätzel. Jacob Schlamp ist der Ur-Ur-Großvater von Otto Schätzel. Er wurde 1807 in Neu-Bamberg in der „Rheinhessischen Schweiz“ als jüngster Sohn einer kinderreichen Bauernfamilie geboren. Für ihn war klar, dass er dort nicht „versauern“ wollte und begann eine Ausbildung zum Dorfschullehrer. Er besuchte das Lehrerseminar in Friedberg und trat seine erste Lehrerstelle in Spiesheim an. Der Wechsel nach Nierstein 1827 war ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher „Aufstieg“. Mitte des 19. Jahrhunderts wechselte er das berufliche Lager und wurde Weingutsbesitzer. Durch Sektherstellung, Weinexporte nach England und USA wurde er sehr vermögend und bewirtschaftete am Ende seines erfolgreichen Lebens zusammen mit seinen drei Söhnen 72 Morgen Weinberge.

In seiner Biographie, die er erst gegen Ende seines Lebens verfasste, beschreibt er detailliert die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Rheinhessen und in Nierstein. Noch heute existiert seine Grabstätte auf dem evangelischen Friedhof in Nierstein.

Der erste Vorsitzende des Geschichtsvereins Nierstein, Hans-Peter Hexemer, freut sich: “Die Weinbaugeschichte spielt für Nierstein eine tragende Rolle. Eine der wichtigsten Persönlichkeiten dieser Zeit am Ort des von ihm gegründeten Weinguts näher kennenzulernen verspricht einen interessanten Abend.“

    Geschichtsverein Nierstein e.V.
Das Weingut wird heute in der 6. Generation von Kai-Rudolf und Caroline Schätzel weitergeführt.   Archivfoto: Geschichtsverein Nierstein
 
GVN   „Aus dem Familienalbum der Niersteiner „Weinbarone“
Von Manuel Wenda

Otto Schätzel erzählt auf Einladung des Geschichtsvereins von seinem Ur-Ur-Großvater Jacob Schlamp.

Jacob Schlamp verfasste eine Autobiografie, die sich als Zeitgemälde des 19. Jahrhunderts lesen lässt.

NIERSTEIN - „So hat sich die Weinwelt verändert: Ich war noch nie in diesem Raum, ich war noch nie in diesem Hof und jetzt bin ich hier und sehe unseren Altenteil – wir dürfen sogar unsere Weine ausschenken.“ Nachbarschaftliche Solidarität ermöglichte es, dass Winzer Otto Schätzel den Vortrag „Vom Lehrer zum Weingutsbesitzer“ über seinen Ur-Ur-Großvater Jacob Schlamp (1807-1887), den Gründer des Weinguts Schätzel, in wohltemperiertem Ambiente halten konnte.

     
Ursprünglich sollte die vom Geschichtsverein Nierstein ausgerichtete Veranstaltung auf dem Gelände des Weinguts Schätzel in der Oberdorfstraße stattfinden – aber am späten Nachmittag begann es zu regnen. So bot das Weingut Andrea Mann seine Räumlichkeiten an, und die zahlreich erschienenen Besucher zogen in die Häfnergasse weiter.

Hans-Peter Hexemer, der erste Vorsitzende des Geschichtsvereins, verwies auf die zentrale Bedeutung der Weingüter in Rheinhessen, die zu Lebzeiten Jacob Schlamps aus adeligem Besitz in bürgerliche Hände übergingen: Die „Weinbarone“ waren lange die bedeutendsten Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktoren in Rheinhessen. Und daher ist Jacob Schlamp so eine interessante Figur: Denn Otto Schätzels Ur-Ur-Großvater hat in seiner mit viel Esprit abgefassten Autobiografie ein Handbuch des Weinbaus und seiner wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorgelegt, ferner liefert er ein Zeitgemälde des 19. Jahrhunderts sowie ein Bekenntnis zu seiner vom Protestantismus geprägten Freiheitsliebe.

  GVN
     
GVN   Otto Schätzel blickte zunächst auf den eigenen Lebenslauf.
Dann porträtierte er seinen Vorfahren Jacob Schlamp ebenso detail- wie kenntnisreich. Schlamp stammte aus Neu-Bamberg in der rheinhessischen Schweiz.
Er war bildungshungrig und ließ sich in Friedberg zum Lehrer ausbilden. Schnell kam er in Konflikt mit Pfarrern, welche den Horizont ihrer Eleven auf biblische Themen alleine beschränken wollten. Schlamp hingegen strebte an, in die Schüler nichts „einzuhämmern“, sondern „etwas aus ihnen herauszuholen.“

Seine erste Station als Lehrer wurde Spiesheim, dessen Einwohner damals in dem Ruf standen, schmutzig und unkultiviert zu sein. Schlamp war zunächst wenig angetan von den Dörflern, erzielte in Spiesheim als Pädagoge aber beachtliche Erfolge.
So konnte er einen Gönner in der Verwaltung zu seiner Versetzung nach Nierstein bewegen, seinem lang gehegten Wunschort.

     
Zwar geriet er erneut in Streit mit Pfarrern, das bestärkte ihn allerdings in dem Bestreben, die „Befreiung aus dem Beamtenkorsett“ (Schätzel) zu erreichen.

Nach der Hochzeit mit seiner Frau, offenbar einer guten Partie, wandte er sich mehr und mehr dem Weinhandel zu, gründete sein Gut und verkaufte Wein und Sekt nach England und in die Neue Welt.

Das heutige Weingut Schätzel befindet sich nunmehr in der achten Generation in Familienbesitz. Wie Otto Schätzel hervorhob, sei das Ziel, die rheinhessischen Weißweine an die Weltspitze zu führen, mittlerweile erreicht worden.“


Fotos: Geschichtsverein Nierstein

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Nierstein, Juni 2019