Dritte Stolperstein-Verlegung in der Niersteiner Glockengasse

13 Nachfahren der Familie Goldschmidt - Enkel, Urenkel und Ururenkel - nahmen an der Verlegung der acht Stolpersteine in der Niersteiner Glockengasse, der einstigen Neugasse, teil. Dort, in den Häusern 7 und 9 hatten ihre Vorfahren viele Jahre lang gelebt. "Sie waren Niersteiner unter Niersteinern, bis die Nazis mit ihren verblendeten Ideen die Köpfe und die Herzen der Menschen verdrehten und vernebelten. Bevor die Nazis die Juden zu Volksfeinden stempelten und deren Verfolgung begann", hob Hans-Peter Hexemer, Vorsitzender des Geschichtsvereins Nierstein in seiner Begrüßungsrede hervor (den vollständigen Text der Rede können Sie hier lesen). Susanne van Lessen und Dagmar Friedrich trugen vor, was der Arbeitskreis Stolpersteine an Informationen zum Leben dieser Niersteiner recherchieren konnte:
Simon Goldschmidt und seine Frau Berta bewohnten mit der Tochter Fanny Rosa das Haus Nr. 7 - heute das Weingut St. Urbanshof mit der Gutsschenke Glockenspiel der Familie Meissner-Schwibinger. Sein Bruder Wilhelm Goldschmidt und dessen Frau Rosa bewohnten das benachbarte Haus Nr. 9 mit sieben Kindern, der Tochter Flora Frieda sowie den Söhnen Albert, Max, Ludwig, Arthur, Siegfried und Ernst, der in Nierstein im VFR Fußball gespielt hatte. Die Brüder Goldschmidt betrieben beide unter dem Firmennamen ihres Vaters S. (für Samuel) Goldschmidt und Söhne Viehhandel, übernahmen quasi den Zwischenhandel zwischen Bauern und Metzgern.
    Geschichtsverein Nierstein e.V.
  Die Nachfahren der Niersteiner Familie Goldschmidt reisten aus Israel zur Verlegung an und stellten sich mit Gunter Demnig und Hans-Peter Hexemer zum Gruppenfoto (von links): Zipora Gadish, Neomi Goldshmidt, Mayan Gross, Uziel Gadish, Amit Dangor, Ori Dangor, Shimon Gadish, Yhaeli Gadish Dangor, Adi Shvit (leicht verdeckt), Itai Dangor, Zeev und Esther Goldshmidt.
     
Nach der Machtergreifung begannen die Nazis, die jüdischen Viehhändler in ihren Geschäftsgebieten immer stärker unter Druck zu setzen, um ihre wirtschaftliche Existenz zu zerstören. Anfang 1937 untersagte man den Besuch der Viehmärkte und entzog schließlich den meisten Betrieben die Zulassung für den Handel mit Vieh. Ihrer Existenzgrundlage beraubt, verarmten die Goldschmidts und mussten ihr Haus verkaufen. Es blieb ihnen nichts, außer ihrem Leben: Allen gelang bis 1938 die Emigration, teils in die USA, teils nach Israel.
     
GVN   "Bis heute", so Hans-Peter Hexemer, "bleiben die Fragen: Wie konnte es dazu kommen, dass der Wert des Lebens zur Zeit des Nationalsozialismus derart geringgeschätzt und vergessen werden konnte? Wie konnte es dazu kommen, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft der Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sein konnten, um sie letztendlich zu vernichten? Es sind nicht enden wollende Fragen, die auch die Generationen der Nachgeborenen beschäftigen bis hin zu den Schülerinnen und Schülern der Carl-Zuckmayer-Realschule, die heute mitwirken. Es sind wichtige Fragen, damit die Zeit nicht vergessen wird und die Erinnerung nicht verblasst, damit den Opfern ihre Namen wiedergegeben werden und sie wieder in unsere Mitte zurückkehren. Damit wir wissen, was sich nicht wiederholen darf."
Der Geschichtsverein Nierstein und sein Arbeitskreis Stolpersteine freuten sich über die enorm große Beteiligung an dieser dritten Verlegung von Stolpersteinen.
Ori, Itai und Amit Dangor (von links) mit Gunter Demnig, der die Stolpersteine für ihre Vorfahren verlegt.  
     
Neben zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern waren Stadtbürgermeister Thomas Günther, Beigeordnete, Vertreter der Stadt und des VG-Rates gekommen. Dazu Alfred Wittstock, Leiter der Studienstelle Israel an der Mainzer Universität und Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Mainz, der den Gästen aus Israel am Nachmittag in Mainz eine fachkundige Einführung in die Architektur der neuen Mainzer Synagoge gab.
     
Wie schon bei den ersten beiden Stolperstein-Terminen verlegte auch dieses Mal der Initiator der Aktion, der Kölner Künstler Gunter Demnig selbst die acht glänzenden Stolpersteine für: Karl Simon und Berta Goldschmidt und ihre Tochter Fanny Rosa Goldschmidt (Glockengasse 7) sowie für Wilhelm und Rosa Goldschmidt und ihre Söhne Max, Ludwig und Ernst Goldschmidt (Glockengasse 9). Für die weiteren Kinder des Paares - Flora, Albert, Artur und Siegfried wurden keine Stolpersteine verlegt, da sie bereits in den 20er Jahren - vor der Machtergreifung - ins Ausland gegangen waren.
Susanne Brandt, Lehrerin an der Carl-Zuckmayer-Realschule plus, war mit der gesamten Klasse 9e gekommen und begleiteten die Verlegung, wie im Vorjahr, mit Gedichtlesungen.
Neomi Goldschmidt, die Tochter von Ludwig Goldschmidt, betonte in ihrer Ansprache, die sie auf Deutsch hielt, wieviel der Familie dieses Erinnern an ihre Verwandten - Väter, Großeltern, Tante und Onkel - bedeutet und dankte den Niersteiner Aktiven für ihre Arbeit.
  GVN
  Die Stolpersteine in der Glockengasse 7.
     
"Heute", so Neomi Goldschmidt, "schlagen wir ein neues Blatt im Geschichtsbuch auf."
Im Anschluss an die Stolperstein-Verlegung erläuterte Dr. Susanne Bräckelmann den Gästen aus Israel die Geschichte der Heimatstadt ihrer Vorfahren bei einem kleinen Stadtrundgang.
     
GVN   Einem gemütlichen Mittagessen im Julianenhof folgte ein spontan von Johanna Stein organisierter Besuch auf dem Oppenheimer Friedhof, wo sich der Grabstein von Samuel Goldschmidt und seinen beiden Schwestern befindet.

Beim anschließenden Empfang im Rathaus wurden die Teilnehmer vom Beigeordneten Jochen Schmitt begrüßt und trugen sich ins Buch der Stadt ein. Nach einer kleinen Weinbergsrundfahrt mit Laurenz Schmitt (Julianenhof) brach man nach Mainz zur Besichtigung der Synagoge auf.

Alle waren sich einig: Es war ein Tag voller Emotionen und eine schöne Gelegenheit, sich näher kennenzulernen.

Bleibt zu hoffen, dass nicht nur Uziel Gadish (Goldschmidt), der schon oft in der Stadt seiner Vorfahren zu Besuch war und die Reise für seine Familie organisiert hatte, bald wiederkommt, sondern, dass es auch mit den anderen Angehörigen ein Wiedersehen gibt.

Schülerinnen und Schüler der 9e der Carl-Zuckmayer-Realschule plus mit ihrer Lehrerin Susanne Brandt.  


GVN   Neomi Goldshmidt und Uziel Gadish, die Enkel von Rosa und Wilhelm Goldschmidt, mit Hans-Peter Hexemer.
     
GVN   Kurze Pause bei der Stadtführung im Metternichhof.
     
GVN   Die Stolpersteine in der Glockengasse 9.
     
GVN   Neomi Goldshmidt trägt sich ins Buch der Stadt Nierstein ein.
     
GVN   Besuch auf dem jüdischen Friedhof in Oppenheim.
     
GVN   Alfred Wittstock erläutert die Architektur der Mainzer Synagoge.

 

   
Text der Rede des 1. Vorsitzenden Hexemer Inschriften der Steine

 

 

   
Fotos: Bräckelmann, Hexemer, Stein    
     

Nierstein, Juli 2015