"Fer en gude Freund habbe mer immer noch en bessere"
Niersteiner Geschichtsrevue begeisterte das Publikum

2000 Jahre Niersteiner Geschichte – spannend und faktenreich erzählt von Hans-Peter Hexemer, in lebhaften Spielszenen dargestellt vom AHA-Theater Nierstein und mit unterhaltsamen und stimmungsvollen Liedern von Tobias Bieker ergänzt – so wurde die neue und erstmals aufgeführte Niersteiner Geschichtsrevue im Rahmen der Woche „Niersteiner R(h)einkultur“ auf dem Schiff Cassian Carl vom Geschichtsverein präsentiert. Die Aufführung fand unter besonderen und traurigen Vorzeichen statt, denn am Tag zuvor war der Kulturbeauftragte der Stadt und zweite Vorsitzende des Geschichtsvereins Hans-Uwe Stapf für alle unvorhersehbar aus dem Leben geschieden. Geschockt, traurig und dankbar gedachten deshalb zu Beginn Stadtbürgermeister Thomas Günther und Hans-Peter Hexemer, der Vorsitzende des Geschichtsvereins an die Persönlichkeit und das Wirken von Uwe Stapf, bevor sich alle Zuschauer zu einer stillen Gedenkminute erhoben.     Geschichtsverein Nierstein e.V.

Die Aufführung selbst solle, so Hexemer, auch als ein Stück Erinnerung an den Verstorbenen verstanden werden.

Von der Völkermühle am Rhein, wo die Ströme zusammenfließen, sich verbinden und die Menschen zusammenkommen, lässt Zuckmayer seinen General Harras erzählen. Mit dieser Szene beginnt der Blick in die Niersteiner Geschichte, einer Geschichte am Rhein, die so viele Einflüsse hatte und die sich auch in Nierstoaner Dialekt Ausdrücken wiederfinden – vom Publikum oft mit Schmunzeln aufgenommen, ebenso wie die vielen Utznamen, die es früher gab. Geschichte seit Römerzeiten: Da dankt Julia Frontina für die Heilung durch das Wasser aus dem Sironabad. Karl der Große schenkt 742 dem Bistum Würzburg die Marienkirche in Nierstein samt Zubehör und Zugehörigkeiten. Damit schlägt die Geburtsstunde der Weinbergslage „Glöck“. Deren Legende wird in einem Gedicht aus der Zeit des Weingutsbesitzers Philipp Fink erzählt, der die Weinlage „Glöck“ zu Weltruf führte. Nierstein das reichsfreie Dorf, später die Civitas, die Stadt und schließlich deren Verpfändung an die Kurpfalz. Kurfürst Friedrich hatte so manches Zechgelage in den Kellern des Niersteiner Kurfürstenhofs – besungen nach einem Gedicht durch Tobias Bieker. Das Rittergericht als frühes Selbstverwaltungsorgan ließ das AHA-Theater in einer Spielszene lebendig werden. Der Ritter von Mosbach wurde von dem Knecht Mayer attackiert. Der Anklage auf tätlichen Angriff und Beleidung folgte ein mildes Urteil, weil der Knecht betrunken war.

Den Beginn einer neuen Zeit markierten auch in Nierstein die Auswirkungen der französischen Revolution. Die neuen Freiheiten wollen die Rheinhessen auch in der Zeit nach dem Wiener Kongress erhalten – und das musste ihr neuer Großherzog von Hessen und bei Rhein auch versprechen. Und auf diese Freiheiten pocht auch der Niersteiner Paulskirchenabgeordnete Philipp Wilhelm Wernher, dessen Rede mit Bravorufen bedacht wird. Als ihn der Großherzog besucht und die wunderbaren Weine lobt, sagt Wernher den Satz: „Fer en gude Freund habbe mer immer noch en bessere“, der dem Abend den Titel verlieh.
Wie viele Weinbergslagen es früher gab, wurde in einem Gedicht berichtet, ebenso wie in einem anderen die Geschichte des Ratsherren-Weins. Von der Kunst einen Weinberg zu pflegen und der Kunst Wein zu trinken wurde bis zum „elfte Gläsje“ begleitet von vielen Lachern erzählt, bevor die kleine Hommage an Nierstein „Von Bergen umkränzt, die Höhen voll Wein, lieblich Dich spiegelnd im glitzernden Rhein...“ angestimmt wurde.

Weiter ging die Reise zum Ende des 19. und zum Beginn des 20. Jahrhunderts als Nierstein vielfach mit fortschrittlichen Einrichtungen wie der neuen Volksschule und dem Wasser- und Elektrizitätswerk glänzte. In dieser Zeit war ein großes Ereignis die Landung des Luftschiffes des Grafen Zeppelin auf dem Kornsand – toll dargestellt von den AHA-Akteuren. Die Revolution des Jahres 1918/19 – die erste Wahl eines Arbeiters an die Spitze der Gemeinde gehörte dazu. Aber auch die Bedrohung der Republik, die schließlich 1933 von den Nazis zertrümmert wurde. Gezeigt wurde auch wie in Nierstein damals politische Gegner verhaftet und ins KZ gebracht wurden – die Szenerie wurde beklemmend eindrucksvoll dargestellt. Der Rheinübergang der Amerikaner 1945 und das Kornsandverbrechen der Nazis warfen ebenfalls Schlaglichter auf diese Zeit. In den Jahren nach dem Krieg wurde besonders die Partnerschaft mit Gevrey-Chambertin in Frankreich hervorgehoben. Auch ein kleiner Seitenhieb auf die Nachbarstadt Oppenheim durfte nicht fehlen – erzählt am Ereignis der Einweihung der neuen Fähre in den 1960er Jahren. Was iss dann en Halwe? – Diese Darlegungen lösten viel Heiterkeit aus und machten mit unterschiedlichen Maßeinheiten für Halbe vertraut. Sehr stimmungsvoll wurde es am Ende als Tobias Bieker das von ihm komponierte Lied nach einem Text (Mein Herzenswunsch) von Otto Lentz vortrug. Es klang wie eine neue Nierstein-Hymne, in die das Publikum sofort einstimmte: „Um eines aber bitte ich, fleh um des Himmels Segen, fürs Land am Rhein, für dich und mich, für Niersteins Wein und Reben.“

Wohlverdienter anhaltender Applaus für eine zweimal 45 minütige Zeitreise durch die Historie. Viel Schulterklopfen für die Mitwirkenden, Hans-Peter Hexemer für Buch und Moderation, die Senioren des AHA-Theaters mit ihrer Theaterpädagogin Heike Mayer-Netscher und Sänger Tobias Bieker für einen informativen, heiteren und emotionalen Theaterabend. „Selten so viel gelernt, so viel gelacht und so viel geweint.“ – kommentierte eine begeisterte Zuschauerin.
Ein Dank ging auch an die Aktiven des Geschichtsvereins, die hinter den Kulissen und bei der Bewirtung der Gäste mitwirkten und ebenso an Carl Strack, der sein Schiff „Cassian Carl“ als tolle Location zur Verfügung gestellt hatte.

     

GVN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

     
Fotos: Geschichtsverein Nierstein    
     

Nierstein, August 2018